25.03.2012
Ambulante Kinderkrankenpflegedienste unterstützen Familien, deren kranke oder behinderte Kinder medizinischen Behandlungsbedarf haben. Je nach Art der Leistung kann der Pflegedienst mit den Kranken- oder Pflegekassen abgerechnet werden.
Um einmal die Perspektive der Pflege zu wechseln und den Blick der Angehörigenseite zu verlassen, hat das Kinder Pflege Netzwerk mit einer Kinderkrankenpflege-Fachkraft ein Interview geführt und wollte wissen, wie ihr Arbeitsalltag aussieht.
Kinder Pflege Netzwerk: Frau Licht*, Sie arbeiten bei einem Kinderintensivpflegedienst. Wie gestaltet sich Ihre Tätigkeit?
Simone Licht: Ich bin in unserem Pflegedienst in zwei Funktionen eingestellt.
Zum einen handelt es sich um die Versorgung unserer kleinen Patienten in ihrer häuslichen Umgebung mit der Erfüllung aller Anforderungen, die ihr jeweiliges schweres multimorbides Krankheitsbild stellt. Dies bedeutet die Unterstützung der Eltern bei allen Maßnahmen der Behandlungspflege laut SGB V (Sozialgesetzbuch für die Krankenversicherung, Anm. der Redaktion), die vom behandelnden Arzt verordnet wurden, bzw. auch deren vollständige Übernahme zu allen erforderlichen Tageszeiten, also auch im Nachtdienst oder in Form von Schul-/ Kitabegleitung.
Diese Tätigkeiten werden von allen Kollegen ausgeführt. Manche haben noch Zusatzqualifikationen, die diesen Arbeitsbereich betreffen. Alle sind examinierte Pflegefachkräfte.
Ich persönlich arbeite jedoch überwiegend in der Verwaltung als stellvertretende Pflegedienstleitung und organisiere eines von zwei Einsatzteams. Hier geht es darum, die Einsätze der Mitarbeiter zu koordinieren im Bezug auf die Krankheitsbilder der Kinder und in Abstimmung mit anderen multiprofessionellen Teams und Institutionen, z.B. Ämter und Behörden, Ärzten, Kassen und entlassenden Einrichtungen wie Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen und selbstverständlich auch den Eltern.
Außerdem ist die Qualitätssicherung nach innen im Unternehmen, als auch in der Darstellung nach außen, ein wichtiges Aufgabenfeld. Die Weiterentwicklung aller Maßnahmen zur Evaluation unserer Arbeit und die Qualitätsentwicklung sind sehr wichtig und werden auch immer wieder vom MDK (Medizinischer Dienst der gesetzlichen Krankenkassen, Anm. der Redaktion) überprüft. Die Pflege wird heute unter akademischen Gesichtspunkten gesehen und weiterentwickelt und dies muss in der täglichen Arbeit umgesetzt werden.
Verhandlungen mit Krankenkassen und die Unterstützung der Eltern bei der Durchsetzung ihrer Anliegen bei den Kassen zählt ebenso zu meinen Aufgaben, wie Material- und Hilfsmittelorganisation und die Beratung in Bezug auf die Pflege bei den Familien vor Ort.
Ein Augenmerk liegt leider auch gelegentlich auf dem Schutz der Kinder, da uns Verwahrlosung und häusliche Gewalt bei überforderten Eltern auch immer wieder begegnen.
Kinderschutz als Aufgabe ambulanter Pflegedienste
Kinder Pflege Netzwerk: Ihre letzte Aussage lässt vermuten, dass Überforderung der Eltern ein häufigeres Problem ist. Können Sie aus Ihren Erfahrungen heraus sagen, in wievielen Prozent Ihrer Fälle Kinderschutz geboten erscheint? Wie verfahren Sie in solch einem Fall?
Simone Licht: Zahlen habe ich zu diesem Thema leider nicht. Jedoch kann ich aus eigener Erfahrung in unserem Pflegedienst nur äußerst frustrierende Beispiele nennen. Ich bin mir inzwischen nicht mehr so sicher, ob es nur an der Überforderung von Eltern liegt, wenn ein Kind verwahrlost oder schlimmer noch an Leib und Seele zu Schaden kommt. Kinder stehen in unserer Gesellschaft auf „verlorenem Posten", für behinderte Kinder findet sich noch weniger eine Lobby. Das Jugendamt hat in dem Fall, an den ich hier denke, leider völlig versagt.
Keine Lobby für Kinder – für behinderte Kinder leider schon gar nicht
Bei einem anderen, schon etwas länger zurückliegenden Fall hat die Ärztin eines Sozialpädiatrischen Zentrums so lange nicht eingegriffen, bis wir die Polizei holen mussten. Monate lang haben wir die Situation immer wieder beschrieben und verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt – leider wurde uns kein Gehör geschenkt. Die Familie ist heute völlig zerstört.
Wir sind oft ratlos, denn wenn Behörden und Institutionen versagen oder wegschauen, sind wir oftmals die einzigen, die noch irgendwie einen Schutz für das Kind darstellen – so lange wie die Eltern uns im Haushalt dulden. Sie dulden uns nur, solange wir sie nicht in die Verantwortung nehmen. Für uns ist das eine sehr belastende Situation, denn für die Pflegekraft vor Ort geht diese Verantwortung weit über die Verantwortung für ihr pflegerisches, professionelles Handeln hinaus.
Kinder Pflege Netzwerk: Ich habe bisher unter den mir bekannten ambulanten Kinderkrankenpflegediensten und –kräften nur überaus engagierte Menschen kennen lernen dürfen, die mit ganzem Herzen bei der Sache sind. Gelingt es Ihnen und Ihren KollegenInnen trotz solcher negativer Erfahrungen, den Enthusiasmus zu bewahren, mit dem Sie einmal den Beruf gewählt haben? Gibt es auch positive Beispiele?
Simone Licht: Selbstverständlich ist die Arbeit mit den Kindern ausgesprochen positiv und auch sehr befriedigend für meine Kollegen und mich. Da ich aus der Erwachsenenpflege komme und sozusagen Quereinsteigerin in der Kinderkrankenpflege bin, kann ich diese Bereiche durchaus vergleichen.
Unsere Frustrationen ergeben sich immer aus der, im weitesten Sinne, politischen Situation, in der die Pflege steckt. Viele Probleme in der Pflege wären durch andere politische Entscheidungen vermeidbar.
Die Kinder geben Kraft für die tägliche Arbeit, aber auch für den „Kampf" auf politischer Ebene. Auch mit schweren Erkrankungen haben Kinder oft eine wunderbare Ausstrahlung. Sie lassen trotz aller Widrigkeiten ihre Lebensenergie spüren.
Die Kinder versprühen Lebensfreude trotz aller Widrigkeiten.
Kinder Pflege Netzwerk: Wenn Sie Einfluss nehmen könnten, welche Änderungen würden Sie als am dringendsten ansehen und unverzüglich ändern wollen?
Simone Licht: Eine große Hürde für unsere tägliche Arbeit bedeutet die Trennung aller „Töpfe", die bei der Versorgung von schwerkranken Kindern miteinander koordiniert werden müssen. Die starre Trennung von Grund- und Behandlungspflege lässt sich – so wie es von den Kassen gefordert wird – nicht durchführen.
Gut gemeinte Hilfen erreichen die Familien wegen Schnittstellenproblemen nur unzureichend
Einzelfallhilfen, Familienhilfen, zusätzliche Betreuungsmaßnahmen und all die eigentlich gut gemeinten Hilfen sind für Laien nur schwer zu verstehen und zu beantragen. Eltern sind da verständlicherweise schnell entnervt. Hilfen für Schul- und Kita-Begleitungen sind immer wieder schwer zu organisieren, weil sich die Einrichtungen und die Kostenträger der Versor-ger nicht einigen können. Schnittstellenprobleme, soweit das Auge reicht ...
Versorgungen mit Hilfsmitteln dauern oftmals viel zu lange. Die Kinder sind in der Zeit schon wieder gewachsen oder im Krankheitsbild weiter verändert.
Fort- und Weiterbildungen, um die Pflegequalität zu halten und zu verbessern, werden kostenmäßig nicht von den Kassen anerkannt. Die Qualitätsauflagen werden immer größer. Ein Anspruch, dem wir mit Freude nachkommen würden, der aber finanziert werden muss. Durch die sehr knapp bemessenen Kostensätze überall in der Pflege sind die Einkommen der Pflegenden knapp über den Mindestlöhnen und davon kann keine Pflegefachkraft eine mehrere Tausend Euro teure Zusatzqualifikation aus der eigenen Tasche finanzieren.
Es gibt in weiten Teilen nicht genügend Plätze für die Kurzzeitpflege von Kindern, um Eltern die Möglichkeit der Entlastung zu geben.
Kinder Pflege Netzwerk: Es gibt also viele Forderungen zur Verbesserung der Pflege. Frau Licht, wir bedanken uns sehr herzlich, dass Sie uns Einblick in die Arbeit einer ambulanten Kinderkrankenpflegerin gegeben haben. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Kraft, Ausdauer und Freude für Ihren Beruf, mit dem Sie eine wertvolle Arbeit für Familien mit pflegebedürftigen Kindern leisten.
Simone Licht anonymisiert
*Simone Licht wollte nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden, da sie negative Auswirkungen für sich und ihren Arbeitgeber durch die Kranken- und Pflegekassen befürchtet.
Das Gespräch führte Claudia Groth.
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